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    Verlustaversion im Marketing

    Auch in diesem Beitrag stehen Neuromarketing und Psycho-Effekte im Rampenlicht. Wir begeben uns mit dem Phänomen der Verlustaversion aber mal auf „die dunkle Seite“ der kognitiven Verzerrung.

    Ok, so gruselig wird’s nicht, versprochen 😉.

    Marketer:innen werden mir jedoch zustimmen, dass positive Emotionen und der Wow-Effekt sowas wie der heilige Gral des Marketings sind. Und zurecht! Kund:innen zu begeistern, und zwar über ihre Erwartungen hinaus – das ist natürlich Erfüllung pur für unsere Marketer- & Unternehmerherzen.

    Doch hier setzen die besten Neuromarketer:innen erst an. Denn um unser Marketing von allen Seiten mit psychologischen Effekten aufzupolieren, muss man natürlich auch die Emotionen unserer (potenziellen) Kundschaft von allen Seiten betrachten: Und genau deshalb schauen wir uns heute die Power der negativen Gefühle genauer an und decken die Anwendungspotenziale der Verlustaversion fürs Marketing auf.

    Loss Aversion im Marketing, die Relevanz negativer Emotionen.

    Die irrationale Kundschaft

    Hast du es noch nicht gehört? Den Homo oeconomics gibt’s nicht mehr – oder besser gesagt: Es gab ihn nie. Unsere Wahrnehmung, Erinnerungen und Entscheidungen sind extrem irrational. Und zwar immer. Studien haben gezeigt, dass auch unsere Kaufentscheidungen bis zu 90 % in unserem limbischen System – also dem emotionalen Bereich unseres Gehirns – getroffen werden.

    Kleiner Exkurs: Genaueres zu diesem Thema erfährst du in unserem Blogbeitrag zu Emotionalisierung im Marketing.

    Kognitive Verzerrungen sind also einfach Bestandteil des menschlichen Daseins. Als Marketer:innen müssen wir das akzeptieren – das beste Produkt oder die beste Leistung auf dem Markt gewinnt nicht immer und automatisch.

    Aber: Indem wir möglichst viel über die menschliche Psyche lernen, können wir unser Marketing perfekt auf diese Irrationalität anpassen – wir müssen eben einfach hirngerecht kommunizieren und emotional überzeugen!

    Mit Neuromarketing gegen menschliche Irrationalität vorgehen.

    Immer mehr Marketing-Profis folgen diesem Prinzip – jedoch nur recht einseitig. Berühmte Neuromarketer:innen wie Georg Häusel warnen: Indem wir immer nur den positiven Emotionen hinterherjagen, vergessen wir häufig, die Wirkungskraft negativer Gefühle zu berücksichtigen. Und die haben es richtig in sich!

    Und jetzt: Ab zur Verlustaversion!

    Definition der Verlustaversion

    Die Verlustaversion, auch Loss Aversion genannt, ist ein Bestandteil der Prospect Theory bzw. Erwartungstheorie, die von den Psychologen Kahneman und Tversky Ende der 70er Jahre aufgestellt wurde.

    Im Großen und Ganzen geht es bei der Erwartungstheorie um die Irrationalität des menschlichen Verhaltens, die in Kontexten erhöhter Unsicherheit noch stärker zu beobachten ist.

    Die Verlustaversion beschreibt dabei das psychologische Phänomen, dass Menschen stärker nach der Vermeidung von Verlusten als nach Gewinnen streben. Auch dies liegt wieder an unserer verzerrten Wahrnehmung: Wir empfinden Verluste sehr viel intensiver als Gewinne des gleichen Wertes.

    Der beste Beweis für die Verlustaversion ist – Überraschung! – Geld.

    Zur Erklärung: Die Psychologen Kahneman und Tversky zeigten in ihren einflussreichen Denk-Experimenten ganz konkret, dass der Verlust von Geld stärkere Emotionen auslöst als der Gewinn der gleichen Summe.

    In anderen Worten: Wenn ich dir 100 Euro aus der Hand reiße und wegrenne, ist dein Ärger größer als die Freude über geschenkte 100 Euro.

    Experiment von Kahnemann und Tversky zur Verlustaversion am Beispiel Geldverlust und Geldgewinn.

    Spuren verlorener Zeiten

    Was ist aber nun der Grund für die Verlustaversion?

     

    Verlustaversion am Beispiel Geld

    Geld bietet sich natürlich besonders gut als Beispiel für die Wirkungsweise der Loss Aversion an und wurde in vielen Experimenten verwendet, um diese zu belegen.

    Auch beim Marketing spielt der drohende Verlust von Geld eine große Rolle – wenn auch nicht die einzige. Der Rückgang von gesellschaftlicher Anerkennung ist beispielsweise ebenfalls ein wichtiger Faktor bei der Verlustversion.

    Diese Beispiele erklären jedoch nicht die Ursache für unsere kognitive Verzerrung. Also zurück zu der Frage:

     

    Wo kommt die Verlustaversion eigentlich her und was ist ihr ursprünglicher Nutzen?

    Wie viele psychologische Effekte ist auch die Verlustaversion Ergebnis der Evolution und hat sich bereits vor langer Zeit in unserem Hirn breitgemacht. Den Großteil unserer Existenz lebten Menschen nicht im Überfluss, sondern kämpften täglich ums Überleben. Risiken und Verluste waren nicht monetärer Art, sondern hatten häufig lebensbedrohliche Folgen.

    Für die Existenz des Einzelnen und der ganzen Menschheit war es deshalb natürlich besonders wichtig, Verlusten zu entgehen – auch wenn man dafür auf einige Vorteile verzichten musste. Anders gesagt: Macht es Sinn, für ein üppigeres Abendessen das Aussterben der Menschheit zu riskieren? Vermutlich nicht.

    Verlustaversion in der Evolution, und wie sie die Menschheit rettete.

    Die Verlustaversion hat also die evolutionäre Funktion, uns vor potenziell tödlichen Entscheidungen zu bewahren. Verständlich, dass dieser wichtige Effekt auch noch Auswirkungen auf unser heutiges Denken und Handeln hat.

    Verlustaversion im Marketing

    Wir halten fest: Verluste haben stärkere Auswirkungen aufs Kundengehirn als Gewinne. Vielleicht schleicht sich bei dir (falls du Unternehmer:in oder Marketer:in bist) ein leichtes Gefühl der Verzweiflung ein:

    Kunden müssen doch immer Geld „verlieren“, um unsere Leistungen oder Produkte zu „gewinnen“! Tatsächlich hatten auch der Psychologe Kahnemann und seine Kollegen diesen Gedanken und untersuchten diesen „Besitztumseffekt“ deshalb genauer – beispielsweise in Studien mit verkauften Tassen. Das Experiment zeigte: Dem Verkäufer, der die Tasse „verliert“, ist diese im Schnitt ca. dreimal so viel wert wie dem Käufer, der die Tasse „gewinnt“.

    Laut der Verlustaversion klingt das nach einer ziemlich aussichtslosen Lage für Unternehmen, oder? So extrem ist es vielleicht nicht, aber die Verlustaversion spielt bei Kaufentscheidung durchaus eine Rolle. Umso wichtiger ist es, dass du diesem Phänomen aktiv trotzt und es mithilfe bestimmter Marketing-Kniffe sogar für dich nutzt!

    Nicht kaufen heißt verlieren! Da Verluste stärkeren Einfluss auf Kund:innen haben als Gewinne, ist folgender Tipp Gold wert: Präsentiere nicht den Kauf als Gewinn, sondern den ausbleibenden Kauf als Verlust!

    Hier einige Beispiele, wie dieses Vorgehen regelmäßig im Marketing umgesetzt wird:

    Tipp 1: Nichts verpassen!

    Für Events, Zeitungen, Jobportale etc. wird häufig mit Sprüchen wie „Damit du nichts (mehr) verpasst/Verpasse nicht das Event des Jahres!“ geworben. Dabei geht es ums Verpassen, nicht um das Miterleben. In anderen Worten:

    Der Verlust beim Nicht-Kaufen wird in den Vordergrund gerückt.

    Tipp 2: Niemand will zurückgeben.

    Gebe deine Produkte zur Probe und biete Testphasen für deine Leistungen an! Das machen beispielsweise Software-Anbieter sehr erfolgreich vor.

    Natürlich bringt das Brand Awareness, Trust und viele andere Vorteile. Aber was hat das mit der Verlustaversion zu tun? Ganz einfach: Der Kunde wird sich freuen, etwas „umsonst“ zu bekommen, aber noch wichtiger: Er wird sich davor scheuen, das Produkt zurückzugeben.

    Tipp 3: Die Kommunikation von Dringlichkeit und Knappheit.

    Für Marketer gibt es einen Haken an der ganzen Internet-Sache: Durch die ständige Verfügbarkeit des Webs leiden Nutzer:innen an der „das können wir auch noch später machen“-Krankheit.

    Und das, obwohl sich Kund:innen unterbewusst häufig in Sekundenschnelle dafür entscheiden, ob sie ein Produkt gut finden oder nicht. Um den letzten Push zu geben, solltest du die Verlustaversion deiner Kundschaft also wenigstens ein kleines bisschen triggern:

    Mit Power-Wörtern wie „Jetzt“ geht das ganz gut, noch konkreter wird es aber durch Sätze wie „Nur noch heute erhältlich“ oder „Nur noch x Produkte verfügbar“. Natürlich nur, wenn dem auch so ist! Wenn du selbst am Hebel sitzt, dann kannst du auch kurzfristige Rabatte, Vergünstigungen oder Gutscheine anbieten und mit „Angebot nur noch heute gültig“ die Verlustaversion im Kundengehirn ansprechen.

    Übrigens: Mehr geniale Trigger-Wörter, die die Kaufknöpfe im Kundenhirn drücken, findest du in unserem Beitrag zu „Werbesprache“.

    Tipps zum positiven Einsatz der Verlustaversion im Marketing

    Bitte nicht zu viel des Schlechten

    Wie die meisten psychologischen Effekte ist die Verlustaversion also ein geniales Tool, um Potenziale und Vorteile deines Unternehmens hirngerecht zu kommunizieren.

    Natürlich sollte nicht zu stark und oft mit der Loss Aversion gespielt werden. Erstens werden Nutzer:innen damit auf lange Zeit abgestumpft. Zweitens lässt sich die Verlustaversion nur bis zu einem bestimmten Grad triggern – bist du zu aggressiv, fühlen sich Nutzer:innen unterbewusst unter Druck gesetzt und springen schneller von der Webseite ab, als du „Kaufklick“ sagen kannst.

    Tipp

    Bring die Wirkung der Verlustaversion mit positiv beeinflussenden Effekten in Verbindung: Wie beispielsweise den Social Proof bzw. den Bandwagon-Effekt. Wenn du den Nutzer:innen vermittelst, dass auch andere Leute das Produkt lieben und kaufen, dann ziehen häufig auch die Zweifler:innen nach und der Druck entwickelt sich in Motivation – Die Traum-Kombi für mehr Umsatz!

    Schluss für heute!

    Ich hoffe, der Beitrag hat dir die Verlustaversion erklärt und gezeigt, dass diese Art der kognitiven Verzerrung nicht nur ein Hindernis fürs Online Marketing ist, sondern zu deinem Wettbewerbsvorteil genutzt werden kann.

    Inspirationsquellen:

    Häusel, Hans-Georg. 2012. Emotional Boosting: Die hohe Kunst der Kaufverführung. Haufe, Freiburg (2. Auflage).

    Wikipedia – Verlustaversion

    Ionos – Verlustaversion

    Dorsch – Lexikon der Psychologie: Verlustaversion