Die Welt der Psychologen und Marketer wurde in den letzten Jahren auf den Kopf gestellt. Denn es stellt sich heraus, dass Menschen überhaupt nicht rational denken und handeln. Tatsächlich werden 90% unserer Kaufentscheidungen laut Neuromarketern emotional getroffen!

Für Unternehmen mit sinnvollen Leistungen und Produkten bedeutet das jedoch noch lange nicht, dass die Mühe umsonst war, nur weil ihre Angebote nicht unbedingt emotional sind.

Vielmehr gilt: Anschnallen und ab auf die Neuromarketing-Tour! Denn: Je mehr wir über unsere verzerrte Wahrnehmung und unser irrationales Verhalten wissen, desto besser können wir unsere Marketing-Maßnahmen daran anpassen.

Der nächste Stopp? Die Ankerheuristik. Im folgenden Beitrag erfahren Sie, was die Ankerheuristik ist, wie Sie funktioniert und was Anker mit Online Marketing zu tun haben. Kurzum: Sie erfahren, wie Sie Ihre Produkte im Kunden-Hirn verankern und mehr Leads generieren können.

 

Bild von einem Tour-Bus und einem Anker zur Darstellung des Themas Ankerheuristik

 

Was ist die Ankerheuristik?

Die Ankerheuristik ist ein psychologisches Phänomen, das uns beim Verständnis der subjektiven Wahrnehmung hilft, der wir alle unterliegen. Ja, alle. Auch wenn wir manchmal gerne glauben, dass wir selbst die Ausnahme dieser Regel sind.

Bei der Ankerheuristik handelt es sich um eine mentale Faustregel, die wir unbewusst bei Entscheidungen oder dem Fällen von Urteilen nutzen. Sie gehört zu einer Gruppe von Heuristiken, die wir deshalb auch „Urteilsheuristiken“ nennen.

Darunter fallen beispielsweise auch die Verfügbarkeitsheuristik bzw. die Availability Heuristic, über die wir vor ein paar Wochen einen Beitrag geschrieben haben, sowie die Repräsentativitätsheuristik und die Rekognitionsheuristik.

 

Definition der Ankerheuristik

Jede und jeder von uns muss täglich eine Unmenge an Entscheidungen treffen und Urteile fällen. Um diese Aufgaben gut zu meistern, brauchen wir Informationen.

Nicht immer stehen uns aber alle Informationen zur Verfügung. Dann versuchen wir uns eben am berühmten „educated Guess“ bzw. einer wohl begründeten Vermutung. Wie wohl begründet ein Urteil ist, kann aber sehr unterschiedlich sein.

Die Ankerheuristik beschreibt exakt diese Situation. Statt lange zu überlegen, nutzen wir laut dieser Urteilsheuristik möglichst konkrete Fakten als Anker, an denen unser Hirn festhält. Selbst wenn die Informationen nicht immer zur richtigen Entscheidung führen!

 

Ein Ankerheuristik-Beispiel

Stellen Sie sich vor, Sie sind mit Bekannten unterwegs. Wie das so ist, kommt es auch mal zu weniger relevanten Themen. Einer Ihrer Freunde fragt sich plötzlich lautstark:

„Ist die Distanz von Basel nach Sydney größer oder geringer als 30.000 km?“

Bevor jemand antworten kann, heißt es:

„Nix sagen, schreibt es auf und schiebt den Zettel rüber!“

Welche Kilometer-Anzahl schreiben Sie auf? Vorausgesetzt, Sie kennen die Antwort nicht.

Schauen Sie sich das Ergebnis an. Ich kann Ihnen mit ziemlicher Zuversicht sagen, dass Sie eine niedrigere Zahl angegeben hätten, wenn das Quiz mit folgenden Worten begonnen hätte:

„Ist die Distanz von Basel nach Sydney größer oder geringer als 15.000 km?“

 

Bild mit Anker und Beispielfrage zur Anwendung der Ankerheuristik

 

Woher ich diese Zuversicht habe? Mit solchen oder ähnlichen Szenarien wurde die Ankerheuristik schon in etlichen Studien von den bekannten US-Psychologen Kahneman und Tversky überprüft.

Der Grund für dieses Phänomen ist, dass die zuerst genannte Zahl als Referenzpunkt für Ihr Urteil dient.

Wenn Sie mir nicht glauben, probieren Sie es gerne mit zwei unterschiedlichen Personen aus!

Übrigens: Sydney ist 16.623 km von Basel entfernt.

 

Ankerheuristik oder Anker-Effekt?

Häufig wird die Ankerheuristik mit dem sogenannten Anker-Effekt gleichgesetzt und als Synonym verwendet.

Es gibt jedoch einen kleinen, aber feinen Unterschied. Wir wollen hier keine Haarspalterei betreiben, diesen Unterschied aber trotzdem kurz aufzeigen:

Die Ankerheuristik ist ein mehr oder weniger bewusstes Werkzeug, um Urteile zu treffen – auch wenn die verwendete Information vielleicht zu Fehlentscheidungen führt.

Dahingegen kann die Information, die im Zuge des Anker-Effekts zu Urteilen führt, auch völlig willkürlich sein. In anderen Worten: Der Anker hat überhaupt keinen Mehrwert für die Situation. Das ist unserem Hirn aber leider einfach egal.

 

Ein Beispiel für den Anker-Effekt im Alltag

Nehmen wir dasselbe Beispiel wie oben. Diesmal fragt Ihr Freund jedoch lediglich:

„Wie viele Kilometer liegen wohl zwischen Basel und Sydney?“

Kurz bevor die Frage gestellt wurde, kam aus dem Fernseher in der Bar die Ansage, dass gerade jemand 30.000 Euro bzw. 15.000 Euro bei einem Gewinnspiel erhalten hat.

Obwohl die Höhe des Gewinns rein gar nichts mit der Kilometer-Anzahl von Basel nach Sydney zu tun hat, wird sich diese Zahl vermutlich in Ihrer aufgeschriebenen Antwort widerspiegeln.

Beim Anker-Effekt handelt es sich im Gegensatz zur Ankerheuristik also vielmehr um ein unterbewusstes Priming.

 

Ankerheuristik in der Evolution

Unser Oberstübchen hat natürlich einiges zu tun. Müsste es wirklich jede Situation im Detail analysieren, könnten wir auf keinen Fall so viel leisten oder entscheiden, wie wir es tagtäglich tun. Deshalb hat unser Gehirn im Laufe der Evolution viele Wege entdeckt, um „Shortcuts“ zu nehmen.

Und genau das ist auch die Ankerheuristik: ein psychologischer Shortcut, um Situationen möglichst schnell und mit wenig kognitivem Aufwand einschätzen zu können. Evolutionär gesehen ist das natürlich eine geniale Fähigkeit.

 

Bild zur Darstellung des evolutionären Nutzen von Urteilsheuristiken

 

Stellen Sie sich vor, Sie leben in der Steinzeit und Ihnen läuft ein unbekanntes Tier über den Weg. Sie müssen urteilen: Besteht Gefahr?

Sie wissen aus früheren Erlebnissen, dass wilde Tiere tödlich sein können und rennen vorsichtshalber weg. Denn bis Sie eine verlässlichere Pro-Contra Liste erstellt haben, sind Sie womöglich schon als Mittagessen verspeist worden.

Zu hoffen ist nur, dass Ihnen vorher keine faul rumliegenden Mitmenschen begegnet sind, die Ihr Urteil durch den Anker-Effekt beeinflussen…

 

Die Ankerheuristik im Marketing

Wie können wir unsere Erkenntnisse über die Ankerheuristik nun einsetzen, um Kunden im Online Marketing zu gewinnen? Hier ein paar Tipps:

 

Tipp 1: Preise hoch!

Damit meine ich nicht, dass Sie alles zum teureren Preis anbieten sollen. Sondern:

Im Falle von Produkt-Aufzählungen sollte das teuerste Produkt zuerst genannt werden. Dieser Preis dient Webseiten-Besuchern als Referenzpunkt. Die folgenden Produkte werden dementsprechend als „günstiger“ wahrgenommen.

Diese Strategie wird beispielsweise häufig bei Software-Angeboten verwendet. Auch wenn das zweite oder dritte Produkt eigentlich immer noch sehr teuer ist, wird es nicht so wahrgenommen.

Im Rückkehrschluss heißt das: Wenn das günstigste Produkt oben steht, ist alles, was danach kommt, „teurer“ – selbst wenn es eigentlich ein Schnäppchen ist!

Sie sehen: Indem Sie die Ankerheuristik clever einsetzen, entsteht ein ganz anderes Framing für das Kauferlebnis Ihrer Kunden. Sehr häufig wird die Ankerheuristik deshalb auch im selben Atemzug genannt wie der Framing-Effekt.

 

Tipp 2: Stellen Sie die Logik hinten an!

Der „Preise hoch“ Tipp gilt vor allem für direkte Vergleiche auf Ihrer Webseite im Rahmen von Listen oder Tabellen.

Wenn Sie Leistungen oder Produkte länger beschreiben und ihnen eigene Textabschnitte zuweisen, sollten Sie anders vorgehen. Warum?

Vor allem bei Preisvergleichen surfen potenzielle Kunden häufig auf mehreren Webseiten gleichzeitig. Dabei wird in der Regel nicht besonders weit nach unten gescrollt, sondern bei den ersten Preisen haltgemacht.

Um neben konkurrierenden Webseiten besser dazustehen, sollten Sie deshalb zuerst die Leistungen mit niedrigeren „Zahlen“ in den Preisen angeben.

Dieser Tipp ist besonders wichtig für Dienstleister, die nicht nur einzelne Leistungen anbieten, sondern ganze „Rundum-Sorglos“ Pakete. Letztere sind dann zwar meistens günstiger als die Summe aller Einzelleistungen – unser Gehirn merkt sich jedoch nur die „Zahlen“.

In anderen Worten: Auch wenn Sie dem Kunden eigentlich ein schmackhaftes Angebot machen, macht Ihnen der Anker-Effekt – ja, hier ist es der Anker-Effekt – in diesem Fall schnell einen Strich durch die Rechnung.

Denn wenn der Kunde Ihre Preise mit konkurrierenden Unternehmen vergleicht, bleibt er wahrscheinlich dort, wo die Preise auf den ersten Blick am niedrigsten scheinen – auch wenn er Birnen mit Äpfeln vergleicht.

Die Vorteile des Gesamt-Pakets können Sie dem rationalen Kunden-Hirn gerne weiter unten auf Ihrer Seite vorrechnen. Ganz nach dem Neuromarketing-Motto: Das rationale Kunden-Hirn muss sich nur bestätigt fühlen, nachdem das emotionale Kunden-Hirn bereits begeistert wurde!

 

Achtung: Der niedrigste Preis ist gut, aber nur solange er noch eine Ähnlichkeit mit dem „Anker“ hat. Wenn Kunden auf verschiedenen Webseiten für IT-Leistungen surfen und die ersten Unternehmen Lösungen für 100-500 Euro anbieten, Sie aber Preise von 50 Euro angeben, dann ist das schon wieder zu weit vom Anker entfernt – der Kunde fühlt sich unwohl.

 

Tipp 3: Unvergleichliche Angebote

Auch bei diesem Tipp geht es darum, wie Sie im Vergleich zu konkurrierenden Webseiten und Unternehmen besser abschneiden können.

Hier geht es jedoch nicht darum, die Ankerheuristik besser für sich zu nutzen, sondern die Ankerheuristik „auszutricksen“.

Sie kennen das Problem bereits: Das erste Unternehmen, das dem Kunden auf seiner Customer Journey oder dem Preisvergleich begegnet, gibt den Anker für die Preise des Produkts oder der Leistung vor.

Aber was, wenn Sie ein ähnliches Produkt anbieten wie das erste Unternehmen, Ihres jedoch aufgrund besserer Qualität auch hochpreisiger ist?

In dem Fall können Sie aktiv gegen die Ankerheuristik vorgehen!

Wie? Indem Sie unvergleichliche Produkt-Bezeichnungen bieten.

Ein bestimmter Coffee-Shop macht es vor: Anstatt kleine, mittlere und große Kaffees anzubieten, kauft man bei Starbucks Tall, Grande und Venti.

 

Bild mit drei grünen Bällen und einem goldenen Dreieck zur Verdeutlichung des Tipps: Machen Sie sich unvergleichlich

 

Klar, auch hier können Sie die Größen miteinander vergleichen. Aber der Schock durch einen direkten Preisvergleich bleibt unserem Unterbewusstsein erst einmal erspart. Und die Aussicht auf duftenden Kaffee betört in der Regel, bevor das rationale Mathe-Hirn siegt.

Kurzum: Werden Sie kreativ bei Ihren Leistungsbezeichnungen.

 

Tipp 4: Ankerheuristik aus allen Rohren

Nutzen Sie die Ankerheuristik so häufig wie möglich auf Ihrer Webseite!

Die Preis-Angabe spielt mit Sicherheit eine große Rolle. Es geht aber noch mehr:

Bieten Sie ein Abo an? Stellen Sie die Vorauswahl in Ihren Formularen auf einen längeren Zeitraum. Kunden können natürlich immer noch frei entscheiden, aber der Anker ist gelegt.

Sie bieten Seminare für einzelne Geschäftsleute oder ganze Unternehmensabteilungen an? Ein Gruppenfoto macht die Anmeldung der gesamten Abteilung wahrscheinlicher.

 

Schluss für heute!

Ich hoffe, der Beitrag hat Ihnen das Prinzip der Ankerheuristik nicht nur erklärt, sondern gezeigt, warum es im Online Marketing ein nützliches Neuromarketing-Tool ist.

Auch über Fragen oder Anregungen zu weiteren Themen freue ich mich übrigens! 😊

 

 

Inspirationsquellen:

Tversky, Amos, & Kahneman, Daniel (1974). Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases. Science, 185, 1124-1131.

https://www.tabellarischer-lebenslauf.net/beruf-arbeitsleben/ankereffekt/

https://nlp-core.ch/startnlp/enzyklopaedie/53/

https://www.pfalz-nlp.de/wp-content/uploads/2018/05/NLP-Masterarbeit_Daniel-Raseghi_Auswirkungen-kognitiver-Verzerrungen-der-Wahrnehmung-auf-NLP.pdf

https://centralstationcrm.de/blog/psychologie-fuer-kmu-der-ankereffekt

https://blog.hubspot.de/marketing/ankereffekt-cro

 

 

Ähnliche Artikel

Beitragsbild zum Thema Availability Heuristic

Availability Heuristic – So urteilen Ihre Kunden

27. Mai 2021

Mehr erfahren

Grafik zum Thema Werther-EffektGrafik zum Thema Framing-Effekt

Der Framing-Effekt

28. Oktober 2020

Mehr erfahren