Die Tatsache, dass Menschen gerne frei entscheiden, ist wohl kaum eine Überraschung.
Marketern und Unternehmen wurde jedoch erst mit dem Erscheinen von Brehm‘s Reaktanz-Theorie im Jahre 1966 bewusst, wie sehr ihnen diese Freiheitsliebe einen Strich durch die Rechnung machen kann – im wahrsten Sinne des Wortes.
Denn der Reaktanz-Effekt zeigt, dass sich Nutzer durch Werbe-Maßnahmen nicht nur in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen, sondern dass Marketing sogar das Gegenteil von dem bewirken kann, was wir damit erzielen wollten.
Ganz nach dem Motto: Ihr wollt mich dazu bringen, eure Leistung zu kaufen? Na, dann erst recht nicht!
Heißt das, dass jede Marketing-Maßnahme verlorenes Geld und verschwendete Mühe ist? Natürlich nicht, sonst wäre professionelles Marketing schon lange nicht mehr so heiß begehrt.
Neuromarketing-Profis leben mit diesen Herausforderungen erst richtig auf! Damit Sie auch was davon haben, erfahren Sie hier, was es genau mit dem Reaktanz-Effekt auf sich hat und wie Sie aus der Reaktanz-Theorie Marketing-Maßnahmen ableiten können, die Ihren Kampagnen wirklich Power geben!
Reaktanz-Effekt kurz erklärt
Was genau ist denn diese Reaktanz-Theorie überhaupt?
Der Reaktanz-Effekt ist eine von vielen kognitiven Verzerrungen, die wir der Evolution zu verdanken haben und wurde erstmalig im Jahr 1966 vom amerikanischen Psychologen Jack W. Brehm erforscht.
Wie bereits gesagt: Dieses psychologische Phänomen entsteht, wenn wir das Gefühl haben, dass unser Freiheits- oder Entscheidungsspielraum bedroht wird. Der Reaktanz-Effekt bezeichnet konkret den inneren Widerstand, der sich dabei in uns bildet.
In anderen Worten: Der Reaktanz-Effekt hat zur Folge, dass das Kleinkind in uns die Arme verschränkt und mit den Füßen stampft. Wir versuchen unsere Freiheit wiederherzustellen, und zwar indem unser Gehirn schreit: Wir wollen genau das, was wir nicht haben können!
2 Reaktanz-Beispiele
Der Reaktanz-Effekt ist also eine Trotz-Reaktion – und alles andere als rational! Es gibt eine Unmenge an Reaktanz-Beispielen und Situationen, anhand derer dieser innere Widerstand wunderbar zum Vorschein kommt. Hier 2 Beispiele:
Die Kindheit mit Reaktanz-Effekt
Auch wenn ich das bestimmt NIE gemacht habe (#Ironie_ende): Ich weiß noch sehr genau, wie das bei meinen kleinen Brüdern ablief:
Das ganze Zimmer vollgestopft mit Spielsachen, die schon seit gefühlt 3 Jahren verstauben. Aber WEHE, meine Eltern wollten mal ausmisten: Dann war das zerfledderte Brettspiel natürlich das absolut beste Spiel aller Zeiten. Wie konnten meine Eltern nur daran denken, das wegzugeben?! Ich weiß jetzt: Ein klassischer (An-)Fall des Reaktanz-Effekts.
Coca-Cola im Überfluss
Hier kommt der Knack-Punkt für Marketer: Der Reaktanz-Effekt entsteht nicht nur, wenn uns eine Option weggenommen wird, sondern auch, wenn uns eine Möglichkeit zu sehr aufgedrängt wird. Das folgende Reaktanz-Beispiel wurde so oder so ähnlich in verschiedenen Studien getestet und bestätigt:
Frank ist in der Mittagspause und will sich ein Getränk am Automaten ziehen. Als er ankommt, klebt ein riesiges Neon-Schild mit einer gigantischen Coca-Cola und dem Schriftzug „Das einzige Getränk für coole Leute“ über dem Getränke-Automaten.
Und Voilà: der Reaktanz-Effekt entfaltet seine Wirkung: Obwohl Frank zuvor vielleicht zur Cola gegriffen hätte, wählt er den Litschi-Saft, der halb versteckt hinter dem Neonschild im Automaten steht. Wer sagt, dass er die Cola kaufen muss, um cool zu sein?!
Reaktanz-Effekt: Fluch & Segen
Vorab: das Coca-Cola Beispiel ist nicht die Art von Werbung, die Online Marketing Agenturen wie Waldhirsch machen. Wir hoffen dann doch, passende Zielgruppen subtiler und effizienter mit Neuromarketing und Co. zu überzeugen.
Wir machen es uns zur Aufgabe, die menschliche Psyche besser zu verstehen, damit wir hirngerechter mit unseren Nutzern kommunizieren können. Neuromarketer nutzen also psychologische Effekte, die den Weg zur Conversion freischaufeln, und vermeiden aktiv das Auslösen von kognitiven Verzerrungen, die dem Kunden den Kaufklick erschweren.
Beim Reaktanz-Effekt ist Potenzial in beide Richtungen da – Sie können die Reaktanz in bestimmten Situationen abschwächen und in bestimmten Situationen sogar für sich nutzen!
Wie Sie den Reaktanz-Effekt vermeiden
Bevor ich mit konkreten Tipps loslege, will ich gerne noch ein paar Worte dazu verlieren, warum Sie beim Online Marketing nicht unbedingt denselben Reaktanz-Effekt auslösen, den die nicht gekaufte Cola-Dose im obigen Beispiel zu spüren bekommt.
Google ist auf Ihrer Seite!
Hat Online Marketing für bestimmte Produkte immer den Reaktanz-Effekt zur Folge? Nein. Bei Google geht es in der Regel anders. Die Suchmaschine überschlägt sich schier, um möglichst Nutzer-orientierte Ergebnisse zu liefern. In anderen Worten: Sie sollen genau das finden, was Sie suchen.
Nehmen wir einmal das offline Reaktanz-Beispiel mit Frank und verwandeln es in ein digitales Szenario.
Die digitale Version von Frank, der zum Getränke-Automaten geht, wäre Frank, der „Getränke kaufen“ googelt.
Wenn ich selbst dieses Keyword in Google eingebe, sehe ich in den organischen Ergebnissen kein „Kaufen Sie das einzige Getränk, das Durst löscht: Coca-Cola“.
Stattdessen sehe ich Webseiten von Kaufland, Getränkewelt und Rewe, die mir eine Auswahl an Getränken bieten! Und diese Auswahl ist mit Freiheit gleichzusetzen – zumindest, wenn wir vom Reaktanz-Effekt sprechen. Mein Entscheidungsspielraum hinsichtlich meines expliziten Wunsches nach Getränken wird also nicht eingeschränkt.
Erst, wenn ich „Cola kaufen“ in Google eingebe, ist sichergestellt, dass der Anblick der Cola-Marke keinen Reaktanz-Effekt auslöst – das wäre der Fall, wenn Frank zu einem speziellen Cola-Automaten gegangen wäre (gibt’s das überhaupt?).
Zugegeben, die bezahlten Anzeigen auf der Suchergebnisseite funktionieren teilweise anders: Dazu aber weiter unten mehr.
Der Punkt ist: Ihre Webseite, Leistungen und Produkte werden Nutzern, wenn möglich, nur dann ausgespielt, wenn ihr Anblick keinen Reaktanz-Effekt auslöst. Hau-Drauf-Marketing wie in Frank’s Fall kommt Google eigentlich nicht in die Tüte!
Also: Erstmal durchatmen, so schlimm ist es doch nicht. Außerdem gibt es eine Reihe an Maßnahmen, die Sie umsetzen können, um den Reaktanz-Effekt weiter abzubauen. Los geht’s mit Tipps zur Vermeidung vom Reaktanz-Effekt:
Tipp 1: Gute Freunde geben Ratschläge…
…Fremde machen Vorschriften. So sieht es zumindest unser Gehirn!
Ein Faktor, der den Reaktanz-Effekt extrem abschwächen kann, ist also Sympathie bzw. die Bindung und das Vertrauen Ihrer potenziellen Kunden zu Ihnen.
Denn: Ist uns eine Person oder ein Unternehmen sympathisch, nehmen wir das Vermarkten einer Leistung oder eines Produktes viel weniger als Freiheitsberaubung und viel mehr als gut gemeinten Ratschlag wahr.
Dieser Tipp lässt sich in unterschiedlicher Weise umsetzen. Extrem förderlich für einen sympathischen Eindruck sind Geschichten zum Werdegang des Unternehmens oder Unternehmers. Erzählen Sie, warum Sie machen, was Sie machen, und wer Sie sind. Ermöglichen Sie den Kunden, Sie als Person zu sehen und nicht als Business X, das etwas andrehen will.
Ganz im Einklang mit dem Konzept von Social Proof ist außerdem der Einsatz von Berühmtheiten und Experten ein geniales Mittel, um den Reaktanz-Effekt zu vermeiden. Wenn meine Idole und echte Profis ein Unternehmen empfehlen, dann bedankt sich unser Gehirn für den Tipp.
Tipp 2: Spaß schlägt Trotz!
Wie findet man den Aus-Knopf des Reaktanz-Effekts? Ganz klar: Mit Witz, Originalität und der Fähigkeit, über sich selbst lachen zu können!
Am besten halten Sie den Reaktanz-Effekt in Schach, indem Sie Ihre Kunden und Nutzer auf der Webseite und in Anzeigen zum Schmunzeln bringen. Studien haben gezeigt, dass ein hoher Unterhaltungswert im Marketing negativ mit Reaktanz korreliert.
Aber Vorsicht: Zu viele Lacher können von der eigentlichen Botschaft ablenken. Ziel ist immer noch der Kaufklick, nicht der Preis für Stand-Up Comedy! Es geht also um die richtige Mischung. Vermitteln Sie die Vorteile Ihrer Leistung, und nehmen Sie den Druck durch Humor.
Tipp 3: Bestätigen Sie die Emotionen Ihrer Kunden!
Der Reaktanz-Effekt fällt niedriger aus, wenn der Nutzer in seinen Voreinstellungen bestätigt wird.
Hier komme ich auch noch einmal auf die bezahlten Anzeigen bei Google zurück. Als ich vorhin „Getränke kaufen“ in die Google-Suche eingegeben habe, wurden mir – wie Sie vermutlich wissen – Produkte vorgeschlagen, die meinem Interesse oder Geschmack entsprechen. Ich habe sie schon einmal gekauft, danach oder nach ähnlichen Begriffen gesucht.
Diese „fundierten“ Vorschläge lösen bei Nutzern oft wenig bis keinen Reaktanz-Effekt aus, weil sie sich schon einmal (fast) für diese Produkte entschieden haben.
Aber um Ihnen einen konkreten Umsetzungs-Tipp zu geben: Es muss gar nicht das Produkt selbst sein, das dem Kunden bekannt ist. Es geht lediglich darum, ihn in seinen Idealen, Meinungen oder Erfahrungen zu bestätigen.
Und das geht beispielsweise ganz wunderbar, indem Sie das Problem ansprechen, für das Sie eine Lösung bieten. Sie arbeiten in der Immobilien-Branche? Wie wär’s mit:
„Wenn man ewig nach dem perfekten Eigenheim sucht und trotzdem nichts rumkommt – wie soll das nicht frustrieren? Der Immobilien-Markt in dieser Region ist extrem hart. Wir helfen gerne.“
Es folgt ein kleines Häkchen YES im Kunden-Hirn! Genau diesen Frust spürt er – danke, dass Sie helfen! Von Reaktanz-Effekt keine Spur. Denn Sie haben Ihre Leistung nicht marktschreierisch aufgedrängt, sondern den Nutzer verstanden und ihn in seinen Emotionen bestätigt.
Wie Sie den Reaktanz-Effekt nutzen
Anstatt der Reaktanz im Marketing möglichst aus dem Weg zu gehen, können Sie das Wissen über die Reaktanz-Theorie auch verwenden, um Ihre Leistung für Kunden attraktiver zu machen: Seien Sie der Underdog und machen Sie einen auf „Wir sind nicht leicht zu haben“!
Tipp 1: Verknappung
Wir schreiben im Waldhirsch-Blog häufiger von der Dringlichkeit, die Nutzern beim Kaufaufruf (CTA) vermittelt werden sollte.
Denn Sie kennen es wahrscheinlich von sich selbst: „Ich finde die Leistung/das Produkt zwar toll, aber verschiebe den Kauf auf später – das Internet läuft ja nicht weg!“
Wir brauchen ein Gefühl von Dringlichkeit, um eine Kaufhandlung auszuführen. Auch die Reaktanz-Theorie besagt, dass Handlungsoptionen, die frei angeboten werden, weniger attraktiv erscheinen als Optionen, die schwerer zugänglich sind.
Vermitteln Sie die nötige Dringlichkeit durch eine Verknappung des Angebots oder der Zugänglichkeit mithilfe von Aussagen wie:
- „Nur noch 4 Stück erhältlich“
- „Nur noch 4 Tage erhältlich“
Tipp 2: Lassen Sie nicht Jeden rein!
Dieser Tipp eignet sich besonders für B2B-Unternehmen. Definieren Sie eine enge Zielgruppe, und lassen Sie Ihre potenziellen Kunden wissen, dass Sie nicht für jeden arbeiten. Anstatt den Reaktanz-Effekt auszulösen und verzweifelt zu wirken, weil Sie um die Aufmerksamkeit von Nutzern heischen, positionieren Sie sich als das, was nicht jeder haben kann.
Und Sie erinnern sich, was die Reaktanz-Theorie besagt? Genau: Wir wollen alle das, was wir nicht haben können!
Des Weiteren werden sich Ihre Wunsch-Kunden durch die Widerspiegelung ihrer Eigenschaften noch direkter angesprochen fühlen und besser mit Ihrem Unternehmen identifizieren können. Ich sehe nur Vorteile, und Sie?
Tipp 3: Positionieren Sie sich als Ausweg
Profitieren Sie doch einfach direkt davon, wenn sich Nutzer von den aufdringlichen Marketing-Maßnahmen Ihrer Konkurrenten trotzig abwenden!
Und zwar, indem Sie sie mit einer Message empfangen, die zeigt: Wie sind die versteckte Alternative, mit der Ihr eure eingeschränkte Freiheit wieder herstellen könnt!
Hier ein paar Denk-Anstöße:
„Sie wollen nicht das, was Ihnen jeder andrehen will?“
„Geh deinen eigenen Weg!“
„Mach’s anders – mach’s mit uns!“
Schluss für heute!
Der Reaktanz-Effekt ist definitiv eine Herausforderung für Marketer und Unternehmen. Doch wenn man es richtig macht, kann man dieses psychologische Phänomen als geniales Marketing-Tool nutzen.
Jetzt würde ich gerne von Ihnen wissen: Stimmen Sie zu, dass der Reaktanz-Effekt auch Vorteile fürs Marketing birgt? Werden Sie die Tipps anwenden, oder haben Sie eine ganz andere Meinung dazu? Hinterlassen Sie einen Kommentar!
Auch über Fragen oder Anregungen zu weiteren Themen freue ich mich übrigens! 😊
Inspirationsquellen:
https://www.onlinesolutionsgroup.de/blog/glossar/r/reaktanz/
https://docplayer.org/7707417-Der-widerstaendige-konsument-reaktanz-gegen-marketingmassnahmen.html
https://www.grin.com/document/323405
Brehm, J. W. (1966). A theory of psychological reactance. New York: Academic Press.